Tierliebe ist alterslos

Stefania Weiss: Ein Interview mit meiner Grossmutter Ella Läuffer über Vegetarismus, Veganismus und gelebte Ethik


Meine Grossmutter Ella Läuffer, geb. 1940 im Rheintal, lebt bereits ihr ganzes Leben vegetarisch und seit einiger Zeit vegan. Ihre Eltern entschieden sich vor knapp hundert Jahren für diese Ernährungs- und Lebensweise, und gaben sie an die nachfolgenden Generationen weiter.

Wir hoffen, dass dieses Interview viele Menschen erreicht, inspiriert und den Mut stärkt, sich für eine tierfreundliche Welt einzusetzen.

Viel Freude beim Lesen wünschen Ihnen Ella und Enkeltochter Stefania.


Wie kam es, dass sich deine Eltern damals für den Vegetarismus entschieden?

Der junge Werner Zimmermann hält einen Vortrag inmitten der Natur.

Als mein Vater Anfang 20 war, gab es einen Volksprediger namens Werner Zimmermann, der ihn stark prägte. Er hielt in der ganzen Schweiz Vorträge über ein natürliches, gesundes und freies Leben, wobei der Vegetarismus dabei immer eine wesentliche Rolle spielte. Durch ihn entstand die erste Vegetarierbewegung in der Schweiz.

Der Bruder meines Vaters, mein Onkel Friedli, war ein echter Pionier seiner Zeit. Er schnitt z.B. seine Hosenbeine ab, um als Erster im Dorf kurze Hosen zu tragen. Auch trug er sein Hemd offen – damals undenkbar. Inspiriert durch Werner Zimmermann verzichtete er auf Fleisch. Mein Vater schloss sich ihm bald an. Das war etwa im Jahr 1929.

Mein Vater entschied sich aus ethischen Gründen – aus Liebe zu den Tieren – für den Vegetarismus. Als er mit 30 Jahren meine Mutter heiratete, hat sie dem Vater  zuliebe ebenfalls umgestellt.

Und dann haben sie ihre Kinder, also dich und deine Schwester, vegetarisch aufgezogen?

Ja, wir sind so aufgewachsen. Unsere Eltern waren sehr engagiert: Meine Mutter gab vegetarische Kochkurse, um zu zeigen, dass vegetarisch kochen einfach, gesund und schmackhaft sein kann. Beide hörten viele Vorträge, lasen Bücher und Zeitschriften, z.B. über Naturheilkunde, Kneippen und Vegetarismus. So wuchsen wir ganz selbstverständlich in diese Themen hinein.

Wie war das damals mit dem Vegetarismus, als ihr noch jung wart? War das schon ein Begriff?

Natürlich war das ein Begriff, zumindest in unserem Dorf. Alle wussten, dass die Familie Schmid, so hiessen wir damals, kein Fleisch isst und dass die Kinder auch kein Fleisch essen. Wir galten als die Spinner im Dorf und die Kinder, haben uns oft gehänselt. Aber unsere Eltern haben uns immer unterstützt.

Mein Vater sagte: "Wenn jemand einen blöden Spruch macht, antwortet mit einem genauso blöden Spruch zurück." Das taten wir dann auch und waren ganz stolz darauf.




Vegusto suchte 2015 einen neuen Cutter; zum Glück haben wir uns für eine Maschine entschieden, die einen kleineren Gabelschlüssel benötigt.

Die Hochzeit von Gertrud und Max Schmid


Gertrud Schmid mit Tochter Ella

Gertrud Schmid mit Tochter Ella

Sind deine Schwester und du beim Vegetarismus geblieben? Wie habt ihr eure Kinder aufgezogen?

Ja, wir sind dabei geblieben. Wir waren viel in Kreisen unterwegs, in denen vegetarische oder naturheilkundliche Themen präsent waren – etwa im Kneippverein oder Verein für Volksgesundheit. Damals gab es einen richtigen Boom an Möglichkeiten, wie man tierliebend und gesund leben konnte.

Meine Schwester und ich haben unsere Kinder genauso vegetarisch aufgezogen, wie es unsere Eltern mit uns getan haben.

Wie funktioniert das mit der vegetarischen Erziehung?

Meiner Ansicht nach würde jedes Kind aus Liebe zu den Tieren vegetarisch leben, wenn man es liesse.

Oft wird aber bereits Fleisch in die Babynahrung gemischt. Früher war es üblich, dass Kinder zum Fleischessen gezwungen wurden, wenn sie es ablehnten. Und so blieben die meisten aus Gewohnheit auch dabei. Sozusagen werden viele Kinder zum Fleischessen erzogen.

Kinder essen in der Regel nur stark verarbeitete Produkte wie Würste oder Fischstäbchen. Essen, welches nicht mehr nach dem ursprünglichen Tier riecht oder aussieht. Wenn Kinder nie Fleisch bekommen, entwickeln sie auch kein Verlangen danach. Oft mögen sie nicht einmal den Geruch.

Das zeigen meine Kinder und auch meine Enkelkinder. Sie sind nun bereits die vierte Generation Vegetarier und leben heute vegan, aus eigener Überzeugung.



Wie ist es mit der Gesundheit? Erlebst du durch die Ernährung Nachteile oder Vorteile?

Ich bin überzeugt, dass mir die vegetarische, inzwischen vegane Ernährung, nur Vorteile bringt.

„Puddingveganer“ zu sein reicht natürlich nicht aus. Auf eine möglichst ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung sollte grundsätzlich geachtet werden.

Wirklich gesund bleiben kann man aber nicht nur über die Ernährung. Körper, Seele und Geist gehören zusammen. Und da spielen so viele Faktoren mit, dass man nicht einfach ein Rezept rausgeben kann. Aber ein tierfreier Lebensstil ist ein wesentlicher Beitrag.

Wie bist du zum Veganismus gekommen?

Meine Eltern gingen von der Mischkost zum Vegetarismus über, meine Kinder vom Vegetarismus zum Veganismus. Und ich habe mich von meinen Kindern überzeugen lassen, dass Veganismus die einzig echte Entscheidung ist, wenn einem das Wohl der Tiere wichtig ist.

Wenn man für den Tierschutz einsteht, kann man z.B. auch keine Lederschuhe mehr tragen – denn auch darin steckt Tierleid.

Bei der vegetarischen Ernährungsweise war in meiner Familie immer die Ethik im Vordergrund. Und darum ist der Schritt zum Veganismus ganz klar: Man kann nicht Milch konsumieren, ohne dass die Kälbchen von der Mutter weggenommen werden. Wenn man also wirklich weiter nachdenkt, kann man dann auch keine Milchprodukte mehr konsumieren - konsequent heisst vegan.

Deshalb ist für mich der Schritt zum Veganismus nur logisch.

Als mein Sohn mit Mitte 20 auf vegan umstellte, war ich noch nicht so begeistert.

Aber ich habe nach und nach meine Ernährung innerhalb von 10 Jahren umgestellt. So lebe ich, seitdem ich 60 Jahre alt bin vegan.


Gertrud Schmid mit Tochter Ella

So jung: links Claire (Schwester), rechts meine Grossmutter Ella.

Gertrud Schmid mit Tochter Ella

Ella rechts, Claire links – beide Anfang zwanzig, modisch ihrer Zeit voraus und stets voller Wanderlust.


Gertrud Schmid mit Tochter Ella

Ca. 2015: Links Claire, rechts Ella

Gertrud Schmid mit Tochter Ella

Ella bemalt von Hand und voller Freude Kleiderbügel, Steine und malt wunderschöne Blumenbilder. Diese verschenkt sie.

Denkst du, dass eine Ernährungsumstellung grundsätzlich auch im hohen Alter möglich ist?

Eine Ernährungsumstellung ist meiner Meinung nach zu jeder Zeit möglich. Ich selbst war ja auch schon in einem fortgeschritteneren Alter, als ich meine Ernährung umstellte.

Die Umstellung ist immer individuell. Wichtig ist, sich gut zu informieren, passende Bücher zu lesen, Rezepte auszuprobieren und sich ggf. beraten zu lassen.


Woher kanntest du Erwin Kessler?

Die Vegetarier haben sich untereinander immer wieder getroffen, wir waren ja eine Minderheit im Vergleich zur grossen Zahl an Mischköstlern.

So hat man den Kontakt und den Austausch zueinander gesucht und sich z.B. bei Treffen und Lagern kennengelernt.

Als Erwin Kessler durch seine Zeitschrift immer bekannter wurde, habe ich ihn erstmals bei einer Veranstaltung kennengelernt. Damals war der VgT gerade richtig bekannt geworden. Aber nicht alle fanden seine Arbeit gut. Dadurch wurde Erwin leider auch oft kritisiert.

Ich finde es wunderbar, wenn Menschen sich für die Freiheit der Tiere einsetzen und anderen bewusst machen, was täglich in unserer fleischorientierten Gesellschaft passiert.

Da ich heute mehr Zeit habe, male ich Blumenmotive auf Kleiderbügel oder Steine, die ich verschenke.

Grosse Freude macht es mir auch, wenn diese kleinen Kunstwerke vegane Projekte unterstützen, wie beispielsweise den VgT-Lebenshof in Buhwil auf dem meine Enkeltochter gerade arbeitet.

Was ist dein Wunsch für die Zukunft der Tiere?

Leo Tolstoi sagte: „Solange es Schlachthäuser gibt, wird es Schlachtfelder geben.“

Alle wollen Frieden, aber sie töten und töten und töten.

Albert Schweitzer predigte die Ehrfurcht vor allem Leben und genau das ist auch meine Überzeugung.

Wenn wir die Natur nicht länger aus Gier ausbeuten, sondern alle Lebewesen leben lassen und wir Menschen friedvoll miteinander umgehen, dann gibt es Frieden auf der Erde.

Wirklicher Frieden beginnt im Umgang mit den Lebewesen um uns herum, so auch mit den Tieren.

Das ist meine Lebenshaltung. Ich wünsche mir, dass immer mehr Menschen diese Lebenshaltung praktizieren und wir dadurch mehr Frieden auf der Welt schaffen, für alle Lebewesen.

Und ich wünsche mir auch, dass meine Lebenshaltung eine Inspiration für andere sein darf.


Vegusto suchte 2015 einen neuen Cutter; zum Glück haben wir uns für eine Maschine entschieden, die einen kleineren Gabelschlüssel benötigt.

September 2025: Mit knapp 85 Jahren fängt Ella wieder an Velo zu fahren. Das hatte sie schon immer geliebt!